Falk Schreiber, Kulturjournalismus


Journalismus


Bezüglich meiner Ausbildung (siehe auch Biografie) und meiner Berufspraxis bin ich ein klassischer Printjournalist. Fernsehen mache ich gar keines, Radio praktisch nie, Internet taucht meist mit Formen auf, die auch im Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus gepflegt werden: Interview, Porträt, Feature, Glosse, Kritik. Das ist keine Medienarroganz, sondern der Tatsache geschuldet, dass meine Themen in der Regel im Print verhandelt werden, in den Feuilletons von Tageszeitungen und in Magazinen (sowie teilweise in Netzangeboten wie Nachtkritik oder dem Figurentheater-Portal Fidena). Das heißt allerdings nicht, dass ich nicht offen für neue Formen wäre, wer weiß, vielleicht ergibt sich ja mal ein Podcast, eine Instastory oder was ganz Neues über Kultur. Gerne mal.


Anbei finden Sie eine (immer wieder umgestellte) Auswahl von Artikeln, die mein Arbeitsspektrum umreißen. Sollten Sie Interesse an weiteren Arbeitsproben haben, melden Sie sich gerne unter falk (at) falkschreiber (dot) com.


Erlösung

Florentina Holzinger wirft sich dem Katholizismus mit Lust in die Arme: Falk Schreiber sah «Sancta» in Schwerin, demnächst in Stuttgart und Berlin.

(...) Während an der Rampe gesungen wird, sickert freilich schon unkeusches Gedankengut in die Bilder ein: Die Bühnenrückwand ist als Kletterwand gestaltet, und die Holzinger-Tänzerinnen* beginnen, diese Wand zu ersteigen, bekleidet ausschließlich mit Sicherungsgurten. Einerseits erinnert dieses Motiv an die bei Hindemith als Teufelsbotin auftauchende Spinne, anderseits ist es auch Gelegenheit für einzelne Kletternde, sich hübsch explizit miteinander zu vergnügen, sprich: in luftigen Höhen zu lecken und zu fingern. (...)

Aus: tanz, Oktober 2024


Würdiger Abschluss einer langen Karriere

Die Tanzlegende John Neumeier verabschiedet sich nach 51 Jahren als Intendant vom Hamburg Ballett: In „Epilog“ gibt sich der letzte große Meister des Erzählballetts überraschend abstrakt – und übt sich auf beeindruckende Weise in der Kunst des Loslassens.

(...) Ein Epilog ist in der Literatur ein Nachwort, ein paar Sätze, die nach dem Ende eines Theaterstücks oder einer Erzählung folgen, und die das eben Abgeschlossene noch einmal zusammenfassen, in einem neuen Licht erscheinen lassen, Fragen beantworten, Fragen aufwerfen, einen Ausblick in die Zukunft geben. Der studierte Literaturwissenschaftler Neumeier kennt diese Bedeutung natürlich, geht aber anders an seine letzte Kreation als Hausherr ran: Für ihn wichtig ist der Aspekt des Nachgeschobenen, des Spielerischen, das zwar einen Mehrwert fürs Publikum haben kann, das eigentliche Werk aber nicht berührt. Im lesenswerten Programmbuch bezeichnet er den Abend – nicht ohne Koketterie – als Marginalie: Er wolle „Erwartungen ausschließen“. „Nicht noch eine literarische Adaption“, heißt es da, „nicht noch eine wichtige Musikkomposition, nicht noch ein religiös inspiriertes Ballett. Einfach ein Werk – das entsteht, mit meinem Ensemble.“ (...)

Aus: Stuttgarter Zeitung, 1.7.2024


Heute leider kein Foto für dich

Tanz bringt die Menschen zusammen. Und die Nachbarschaft ist ein funktionierendes soziales System. Gob Squad verlassen sich mit "Dancing with our neighbours" ein bisschen zu sehr auf die Harmonie kollektiver Bewegung – bis die Weltpolitik in die Performance einbricht.

(...) Ein Stück weit ist das Nachbarschaftsmodell, das hier durchgespielt wird, eine Selbstvergewisserung: Vieles läuft schief, aber hier, mit den Nachbarn, kommen wir irgendwie klar. Nach Wahlen gibt es das Phänomen, dass Menschen stolz die Wahlergebnisse aus dem eigenen Kiez auf Social Media posten: Schaut mal, bei mir hat die AfD nur zwei Prozent! Die Entsprechung in "Dancing with our neighbours" findet sich im Statement, dass man von den Wahlerfolgen der Rechten entsetzt sei. Da tanzen dann alle. Und fühlen sich wohl. (...)

Aus: Nachtkritik, 28.5.2024


Zumutung

Tanzbrocken, wuchtig und unbehauen: Boris Charmatz entführt das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch mit «Liberté Cathédrale» in den Nevigeser Mariendom

(...) Man sitzt im (bis auf den minimalistischen Altar) leeren Kirchenraum, um einen herum prangt nackter Beton, nur der Boden ist gepflastert. Man friert ein wenig, die Sitzreihen sind denkbar unbequem, ein leicht modulierter, hoher Ton zerrt in den Ohren. Und langsam betreten die Tänzer*innen die Kirche, stürzend, fallend, sich wieder aufrappelnd, schneller werdend. Auf den ersten Blick ist das eine chaotische Bewegung, vor allem: eine, die von Gesang begleitet ist. Das Ensemble singt die Melodie von Beethovens «Klaviersonate Nr. 32, Opus 111», zumindest sofern die einzelnen Tänzer*innen bei Stimme sind, zumindest sofern sich eine Melodie während der Bewegung erkennen lässt, «Laa-laa-la-la-la», ein Leiern, ein An-, ein Abschwellen. Vor allem eine konsequent individualistische Performance. (...)

Aus: tanz, September 2023


Jetzt wird’s schmutzig

Benjamin von Stuckrad-Barres «Noch wach?» wirft einen Schlüssellochblick auf #MeToo-Verwerfungen in einem Medienkonzern. Christopher Rüping recherchiert im Hamburger Thalia Theater

(...) Anlass für Stuckrad-Barres Buch waren die Vorwürfe gegen den damaligen «Bild»-Chefredakteur Julian Reichelt, seine Position für sexuelles Entgegenkommen junger Mitarbeiterinnen ausgenutzt zu haben. Der Schlüsselroman zeichnet das recht genaue Bild einer machtbesoffenen Jungsclique um Reichelt, Verleger Mathias Döpfner und den Autor (der als Freund Döpfners zum engeren Zirkel Springers zählte und gleichzeitig außen vor blieb), angereichert mit postmoderner Billigironie: «Das ist so beyond scheiße und gleichzeitig so meta!» Davon ist in der Bühnenfassung wenig übrig, es geht nicht um Springer, es geht auch nicht um Sex, es geht fast ausschließlich um Macht. (...)

Aus: Theater heute, September 2023


Wir nennen es Forschung

Jubiläum in Hamburg: Seit 20 Jahren denkt man am Fundus Theater die Konventionen des Kindertheaters neu – auf Basis von Forschung und Objekttheater, allerdings ohne Paternalismus und ohne Trennung zwischen Kindern und Erwachsenen.

(...) Die Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen kann man auch als binäres System sehen, und da wird die Forschungsarbeit am Fundus Theater plötzlich zum politischen Akt, zur Hierarchiekritik. Immerhin: „Alles, was binär ist, muss gehackt werden!“, meint Dramaturg Christopher Weymann scherzhaft. Und dieses Hacking hat politische Folgen: „Wir nennen es Forschung, aber manchmal ist es auch eine ganz kleine Revolution“, beschreibt Lois Keidan von der Londoner Live Art Development Agency bei einer Zoom-Diskussion während der Jubiläumsfeierlichkeiten des Fundus Theaters den Ansatz. (...)

Aus: Fidena, 28.9.2023


Ein Neuerer, kein Bilderstürmer

Seit 50 Jahren prägt John Neumeier Hamburg als Ballettstadt.

(...) Wenn man sich die Liebe anschaut, mit der die Hansestadt Neumeier, ihren Ehrenbürger, heute überschüttet, kann man sich gar nicht vorstellen, dass der Start 1973 gar nicht so einfach war. Denn: Der neue Ballettchef kam mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der das Stuttgarter Ballettwunder unter Cranko miterlebt hatte, mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der die Ballettprovinz Frankfurt aus dem Dornröschenschlaf erweckt hatte. Zudem stellte er schon in seiner Antrittsrede vor der Compagnie klar, dass er Lust auf die Konfrontation mit dem Opernbetrieb hatte: „Meine wichtigste Aufgabe ist es, zuerst genügend Arbeit für euch zu finden, denn: Ein Tänzer ist nur einer, wenn er tanzt, und ich glaube, der glücklichste Tänzer ist der müdeste.“ Das war keine künstlerische Vision, das war die Vision eines Chefs, der die Arbeitsbedingungen seiner Mitarbeiter verbessern möchte, und zwar um den Preis, dass um die Bühne des Opernhauses konkurriert werden würde. (...)

Aus: Hamburger Abendblatt, 22.9.2023


Heiliger Ernst

Choreograf John Neumeier läuft mit der Uraufführung von „Dona Nobis Pacem“ auf die Zielgerade seiner 51-jährigen Karriere beim Hamburg Ballett ein.

(...) Zu Beginn seiner Hamburger Zeit galt Neumeier nach ersten Erfolgen in Stuttgart und Frankfurt als Bilderstürmer, der das klassische Repertoire mit unerhörten Neuerungen konfrontierte. Später lief seine Arbeit immer wieder Gefahr, im Klassizismus zu erstarren. Zuletzt, nach einer quälend langen Nachfolger-Suche, standen auch noch Rassismus-Vorwürfe im Raum: Als die 1985er-Choreografie „Othello“ in Kopenhagen einstudiert werden sollte, hatten Tänzer*innen Probleme mit in ihren Augen klischeehaften Darstellungen, in der Folge wurde die jahrelange, erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Hamburger Choreografen und dem Kongelige Ballet auf Eis gelegt. Es ist also ein Bekenntnis, wenn Neumeier über „Dona Nobis Pacem“ sagt: „Ich bin überzeugt, dass auch mein Glaube, meine persönlichen Zweifel und meine Zerrissenheit untrennbar zu meiner Persönlichkeit gehören.“ Zerrissenheit, die Aleix Martinez in beeindruckender Bühnenpräsenz zeigt, ein Tänzer, der seinen Körper in atemberaubende Verrenkungen versetzen kann, und dennoch nicht mit wuchtiger Physis überzeugt, sondern sich Zerbrechlichkeit und Sensibilität bewahrt. (...)

Aus: Tagesspiegel, 5.12.2022


Horrortheater der großen Kasperle

Rammstein sind übergroß, überlaut, überbordend – und auf jeden Fall mit jeder Menge Feuer. Dass die Songs dabei kaum interessieren – geschenkt.

(...) In Paris gab es um die Jahrhundertwende das „Théâtre du Grand Guignol“, das „Theater des großen Kasperle“. Gezeigt wurden Horrorgeschichten, Morde, Vergewaltigungen, Gruselstücke, möglichst spektakulär inszeniert, möglichst schockierend. Wirklichen Einfluss auf die Bühnenkunst hatten die Grand-Guignol-Stücke nicht, dazu waren sie zu sehr auf den Effekt hin gebaut, zu grob und zu offensichtlich, auf lange Sicht waren sie zu ermündend. Aber beispielsweise das Splatterkino hat viel vom Grand Guignol gelernt. Ebenso wie die Rock-Ästhetik von Rammstein. Was sich freilich bei Rammstein ebenfalls beobachten lässt, ist ein ähnlicher Niedergang wie beim Grand Guignol. Je länger die 1994 aus den DDR-Punks Feeling B hervorgegangene Band aktiv ist, umso stärker langweilt die ewige Wiederholung der gleichen Schockformeln. (...)

Aus: Hamburger Abendblatt, 17.6.2022


Die virtuelle Realität verflüssigt sich

Das Virtual-Reality-Frestival VRHAM im Hamburger Oberhafen zwischen „Next big thing“ und „Schönste Stadt der Welt“-Bräsigkeit

(...) VRHAM! steht für „Virtual Reality Hamburg“ und repräsentiert so schon im Namen irgendwas zwischen „Next big thing“ und „Schönste Stadt der Welt“-Bräsigkeit, wenn auch als Airportkürzel und mit Ausrufezeichen. Vielleicht soll das ja so sein, in einem Umfeld, in dem Kanonisierung und geschmackliche Ausdifferenzierung noch nicht weit fortgeschritten sind. Und man muss neidlos zugeben: Bei den vorherigen VRHAM!-Ausgaben präsentierte Festivalchef Ulrich Schrauth zwar einigen Technikbegeisterungskitsch, aber er zeigte auch immer wieder sehenswerte Kunst, die sich voller Entdecker­­erotik in die Möglichkeiten der virtuellen Realität aufmachte. (...)

Aus: taz – die tageszeitung, 2.6.2022


Utopie Frauenbad

Die Hamburger Kunsthalle wirft mit »Max Beckmann. Weiblich-männlich« einen neuen Blick auf einen kanonisierten Künstler.

(...) Und hier macht sich Beckmann von allen Konventionen frei, Säuglinge sind ebenso erkennbar wie alternde Körper, Lachen und Missmut, Fleisch und Knochen. In diesem überbordenden Tableau, in dieser Feier von Bewegung, Spiel und Geschlechtersolidarität scheint dann tatsächlich eine Erkenntnis dieser so klugen wie traditionellen Ausstellung auf: dass nämlich Beckmann gelitten haben dürfte unter den starren Geschlechterkategorien, die er selbst mit Arbeiten wie »Bildnis Ludwig Berger« oder »Selbstbildnis im Smoking« immer wieder reproduzierte. Und dass das »Frauenbad« eine Utopie ist, ein Ausweg aus dem Gefängnis der Zweigeschlechtlichkeit. Queerness. (...)

Aus: nd, 30.9.2020


Ästhetik des Abstands

Kontaktvermeidungsimprovisation ist der prägende Trend – auch im Foyer.

(...) Es ist eine behutsame Choreografie, die hier entsteht, eine Choreografie, bei der die Performer*innen gezwungen sind, genau aufeinander zu achten, jede Bewegung des Gegenübers mitzudenken, zu erahnen, wo der Nachbar sich im nächsten Schritt hinbewegt, nicht nur, um Berührungen zu verhindern, sondern auch ein Unterschreiten des Mindestabstandes. Solche Choreografien werden aktuell überall eingeübt: Choreografien, in denen der öffentliche Raum durchstreift wird, und dabei werden Berührungen vermieden. Auf dem Boden im Supermarkt sind Abstandsmarkierungen aufgeklebt, und die erinnern nicht von ungefähr an die Klebestreifen auf dem Boden der Theaterbühne, die den Performer*innen anzeigen, wann sie wo zu stehen haben. Und auf der Liegewiese im Park scheinen unsichtbare Kreise um die Sonnenhungrigen gezogen, eineinhalb Meter, die nicht unsanktioniert durchbrochen werden sollen. (...)

Aus: Jahrbuch Tanz, 2020


Sie tritt, sie trotzt, sie wütet

Kampflos gibt der Körper nicht auf: Sylvana Seddigs Videotanz in Zeiten der Tröpfcheninfektion.

(...) Die Pandemie existiert doch nur, weil unser Körper sich mit seiner Sterblichkeit zu Wort meldet“, sagt Seddig: „Unser Körper ist immer noch im Hier und Jetzt verhaftet, und wenn er nicht integrierter Bestandteil unseres Seins ist – was passiert dann?“ Der Körper meldet sich, und die Choreografie der Körpervermeidung im Stadtpark ist im Grunde nichts als das Ignorieren dieser Wortmeldung. Seddig dagegen prügelt mit ihren Videoperformances die Körperlichkeit zurück in die Wahrnehmung. (...)

Aus: Tanz.Media, 7. 4. 2020