Journalismus
Bezüglich meiner Ausbildung (siehe auch Biografie) und meiner Berufspraxis bin ich ein klassischer Printjournalist. Fernsehen mache ich gar keines, Radio praktisch nie, Internet taucht meist mit Formen auf, die auch im Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus gepflegt werden: Interview, Porträt, Feature, Glosse, Kritik. Das ist keine Medienarroganz, sondern der Tatsache geschuldet, dass meine Themen in der Regel im Print verhandelt werden, in den Feuilletons von Tageszeitungen und in Magazinen (sowie teilweise in Netzangeboten wie Nachtkritik oder dem Figurentheater-Portal Fidena). Das heißt allerdings nicht, dass ich nicht offen für neue Formen wäre, wer weiß, vielleicht ergibt sich ja mal ein Podcast, eine Instastory oder was ganz Neues über Kultur. Gerne mal.
Anbei finden Sie eine (immer wieder umgestellte) Auswahl von Artikeln, die mein Arbeitsspektrum umreißen. Sollten Sie Interesse an weiteren Arbeitsproben haben, melden Sie sich gerne unter falk (at) falkschreiber (dot) com.
Prinzip Held
In Gelsenkirchen dekonstruieren Felix Landerer und Giusepe Spota die Abendteuer des „Odysseus“.
(...) Im Grunde ließe sich diese Choreografie als Dekonstruktion des Prinzips „Heldentum“ beschreiben, als Nachstellen von heldischen Posen, die dann von ihrer Konzentration auf eine einzelne Person abgelöst und auf eine Gruppe Tänzer*innen übertragen werden. Was sich durchaus auch zeitpolitisch lesen lässt: „In den letzten Jahren haben wir so oft erlebt, dass Menschen Situationen in Gang setzten oder sich darin wiederfanden, deren Ende sie nicht absehen konnten“, beschreibt Landerer den Bezug im Programmheft. „Denken wir nur an die Pandemie oder den Krieg in die Ukraine.» Dieses Stück mag hochästhetisch aussehen, inhaltlich ist das aber schärfer gedacht, als es der oberflächliche Blick nahelegt. (...)“
Aus: tanz, März 2023
Heiliger Ernst
Choreograf John Neumeier läuft mit der Uraufführung von „Dona Nobis Pacem“ auf die Zielgerade seiner 51-jährigen Karriere beim Hamburg Ballett ein.
(...) Zu Beginn seiner Hamburger Zeit galt Neumeier nach ersten Erfolgen in Stuttgart und Frankfurt als Bilderstürmer, der das klassische Repertoire mit unerhörten Neuerungen konfrontierte. Später lief seine Arbeit immer wieder Gefahr, im Klassizismus zu erstarren. Zuletzt, nach einer quälend langen Nachfolger-Suche, standen auch noch Rassismus-Vorwürfe im Raum: Als die 1985er-Choreografie „Othello“ in Kopenhagen einstudiert werden sollte, hatten Tänzer*innen Probleme mit in ihren Augen klischeehaften Darstellungen, in der Folge wurde die jahrelange, erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Hamburger Choreografen und dem Kongelige Ballet auf Eis gelegt. Es ist also ein Bekenntnis, wenn Neumeier über „Dona Nobis Pacem“ sagt: „Ich bin überzeugt, dass auch mein Glaube, meine persönlichen Zweifel und meine Zerrissenheit untrennbar zu meiner Persönlichkeit gehören.“ Zerrissenheit, die Aleix Martinez in beeindruckender Bühnenpräsenz zeigt, ein Tänzer, der seinen Körper in atemberaubende Verrenkungen versetzen kann, und dennoch nicht mit wuchtiger Physis überzeugt, sondern sich Zerbrechlichkeit und Sensibilität bewahrt. (...)
Horrortheater der großen Kasperle
Rammstein sind übergroß, überlaut, überbordend – und auf jeden Fall mit jeder Menge Feuer. Dass die Songs dabei kaum interessieren – geschenkt.
(...) In Paris gab es um die Jahrhundertwende das „Théâtre du Grand Guignol“, das „Theater des großen Kasperle“. Gezeigt wurden Horrorgeschichten, Morde, Vergewaltigungen, Gruselstücke, möglichst spektakulär inszeniert, möglichst schockierend. Wirklichen Einfluss auf die Bühnenkunst hatten die Grand-Guignol-Stücke nicht, dazu waren sie zu sehr auf den Effekt hin gebaut, zu grob und zu offensichtlich, auf lange Sicht waren sie zu ermündend. Aber beispielsweise das Splatterkino hat viel vom Grand Guignol gelernt. Ebenso wie die Rock-Ästhetik von Rammstein. Was sich freilich bei Rammstein ebenfalls beobachten lässt, ist ein ähnlicher Niedergang wie beim Grand Guignol. Je länger die 1994 aus den DDR-Punks Feeling B hervorgegangene Band aktiv ist, umso stärker langweilt die ewige Wiederholung der gleichen Schockformeln. (...)
Aus: Hamburger Abendblatt, 17.6.2022
Die virtuelle Realität verflüssigt sich
Das Virtual-Reality-Frestival VRHAM im Hamburger Oberhafen zwischen „Next big thing“ und „Schönste Stadt der Welt“-Bräsigkeit
(...) VRHAM! steht für „Virtual Reality Hamburg“ und repräsentiert so schon im Namen irgendwas zwischen „Next big thing“ und „Schönste Stadt der Welt“-Bräsigkeit, wenn auch als Airportkürzel und mit Ausrufezeichen. Vielleicht soll das ja so sein, in einem Umfeld, in dem Kanonisierung und geschmackliche Ausdifferenzierung noch nicht weit fortgeschritten sind. Und man muss neidlos zugeben: Bei den vorherigen VRHAM!-Ausgaben präsentierte Festivalchef Ulrich Schrauth zwar einigen Technikbegeisterungskitsch, aber er zeigte auch immer wieder sehenswerte Kunst, die sich voller Entdeckererotik in die Möglichkeiten der virtuellen Realität aufmachte. (...)
Aus: taz – die tageszeitung, 2.6.2022
Waldwanderung
Die Hamburger Choreografin und Performerin Ursina Tossi entwickelt Stücke, die einem in die Magengrube schlagen. Mit „Fux“ jetzt auch für ein junges Publikum.
(...) Alles hier ist körperlich, alles dehnt die Begrenztheiten des Körpers, und wo die Grenzen überschritten werden, geht es schmerzhaft zu, stöhnend, schleifend. „Ich kann mit dem Begriff Kreatur viel anfangen“, meint Tossi, „weil der transformierbar ist, weil da ein Animalis- mus drinsteckt, den ich spannend finde.“ Animalismus als Gegenent- wurf zum Humanismus, da landet man wieder bei Tossis politischer Agenda, die die Geschichte des Humanismus auch als Geschichte der Einhegungen liest, der Normierungen und der Unterdrückung. Es ist nicht weit, von Cicero zu den Hexenverfolgungen des Mittelalters, und dann ist man auch schon wieder bei den Gewalträuschen von „Witches“, bei Diskursen um Sexualität, Weiblichkeit, queere und fragmentierte Körper. (...)
Aus: tanz, 04/2022
Rauchen mit Cathérine Deneuve
Spätestens seit „Small Town Boy“ am Berliner Maxim Gorki Theater ist Falk Richter für seine scharfsichtigen Untersuchungen schwuler Emanzipationsbiografien bekannt. Folgerichtig also, dass er irgendwann bei Édouard Louis ankommen würde – dessen Prosatext „Die Freiheit einer Frau“ er jetzt in Hamburg zum campy-glamourösen Musical macht.
(…) Eigentlich ist es folgerichtig, dass Falk Richter irgendwann bei Louis landen würde. Die Emanzipation von als repressiv wahrgenommenen Kleinstadtstrukturen (nicht zuletzt auf der Folie der Homosexualität) ist ein zentrales Thema für Richter, besonders deutlich 2014 in„Small Town Boy“, aber auch sechs Jahre später in „In My Room“ am Berliner Maxim Gorki Theater. Und die autobiografisch grundierte Soziologie-Literatur von Louis, der sich mit 19 Jahren aus dem heteronormativen, von Armut und Gewalt geprägten Umfeld Hallencourts befreite, kommt diesem Interesse entgegen. Allein: Bei Louis steht die Befreiung zwar ebenfalls im Fokus, ist allerdings eingebettet in tiefergehende Überlegungen, die fragen, was das für Verhältnisse sind, die die Verachtung von Bildung, Sensibilität und Non-Konformität mit sich bringen. Louis fragt, was das für eine Faust ist, die die Menschen in Hallencourt nach unten drückt und ihnen als Kompensation gerade mal den Hass auf die bietet, die sie für noch schwächer erachten: Frauen. Schwule. (...)
Willige Boys backstage
Sex, Drugs & Budd'n'Brooks – Internationales Sommerfestival Hamburg – Nesterval und Queereeoké beschwören die Zeit, als laute Musik und schlechte Luft noch eine Verheißung waren
(...) Das Publikum steht am Rande des Dancefloors, und von Zeit zu Zeit werden einzelne Zuschauer:innen aufgefordert, mitzukommen, ins Backstage, in den Darkroom, ins Treppenhaus, von Imke Paulick hübsch zwischen Plüsch und Camp ausgestattet. Hier werden kurze Szenen gespielt, unspektakulär aber wirkungsvoll – Streit zwischen den Figuren, Verwerfungen, die Erkenntnis, dass die Konzentration auf Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen einen auch nicht weiterbringt. Und kurz darauf übertönt laute Musik die Szene, man trinkt noch einen Schnaps (und wenn Thomas nicht hinschaut, schafft man es, die Zeche zu prellen), dann geht es zurück in den Saal. (...)
Was ist Mensch, was ist Objekt?
„VYRE“ von der Hamburger Performancegruppe SV Szlachta wirft die Frage auf, ob womöglich alles Puppe ist, wenn sich die Welt nach und nach ins Virtuelle verabschiedet.
(...) Der Schauspieler*innenkörper wird hier zur Puppe, zur leeren Hülle, die im Sarg liegt und keine echte Funktion mehr hat. Und auch die übrigen Körper verschmelzen mit den Objekten: Die Mykologin (Amanda Babaei Vieira) etwa beschreibt, dass sie ihre eigene DNA nach und nach mit derjenigen der erforschten Pilze synchronisiert. Man selbst vollführt kurz darauf ein Experiment, in dem sich eine organische Struktur selbst zu verdauen scheint – was hier Körper ist und was Objekt, lässt sich irgendwann nicht mehr sagen. An einer anderen Stelle trägt man eine VR-Brille und sieht, wie puppenhafte Wesen vor einem in die Tiefe stürzen. Bis sie sich plötzlich zu fangen scheinen und den Betrachter bedrängen – und in diesem Moment wird der eigene Körper berührt, von den Seiten strömt Hitze auf einen ein. Um eineinhalb Grad habe sich die Luft um einen erwärmt, erfährt man, das ist der Temperaturanstieg, auf den man sich im Rahmen der Klimakatastrophe einzustellen hätte, halb so schlimm – oder? (...)
Aus: Fidena, 6.7.2021
So schnell verschwindet das Theater nicht
Auch im zweiten Lockdown versuchen Theater, das Internet als Bühne zu bespielen. Wenn auch deutlich zaghafter als noch vor einem halben Jahr.
(...) Als im Frühjahr Theater um Theater sein Heil im Internet suchte und exzessiv streamte, verhielten sich die Häuser wie die deutschen Tageszeitungen in den Nullerjahren. Die nämlich versuchten damals ebenfalls verzweifelt, sichtbar zu bleiben, stellten ihre Artikel kostenfrei ins Netz und zerstörten damit ihre ökonomische Grundlage. Denn wer kauft noch eine Zeitung, wenn er die Artikel schon zuvor online lesen konnte? Und wer geht noch in die analoge Premiere von „Geschichten aus dem Wiener Wald“, wenn er die Netzvariante schon vor Wochen sehen konnte? (...)
Utopie Frauenbad
Die Hamburger Kunsthalle wirft mit »Max Beckmann. Weiblich-männlich« einen neuen Blick auf einen kanonisierten Künstler.
(...) Und hier macht sich Beckmann von allen Konventionen frei, Säuglinge sind ebenso erkennbar wie alternde Körper, Lachen und Missmut, Fleisch und Knochen. In diesem überbordenden Tableau, in dieser Feier von Bewegung, Spiel und Geschlechtersolidarität scheint dann tatsächlich eine Erkenntnis dieser so klugen wie traditionellen Ausstellung auf: dass nämlich Beckmann gelitten haben dürfte unter den starren Geschlechterkategorien, die er selbst mit Arbeiten wie »Bildnis Ludwig Berger« oder »Selbstbildnis im Smoking« immer wieder reproduzierte. Und dass das »Frauenbad« eine Utopie ist, ein Ausweg aus dem Gefängnis der Zweigeschlechtlichkeit. Queerness. (...)
Aus: nd, 30.9.2020
Ästhetik des Abstands
Kontaktvermeidungsimprovisation ist der prägende Trend – auch im Foyer.
(...) Es ist eine behutsame Choreografie, die hier entsteht, eine Choreografie, bei der die Performer*innen gezwungen sind, genau aufeinander zu achten, jede Bewegung des Gegenübers mitzudenken, zu erahnen, wo der Nachbar sich im nächsten Schritt hinbewegt, nicht nur, um Berührungen zu verhindern, sondern auch ein Unterschreiten des Mindestabstandes. Solche Choreografien werden aktuell überall eingeübt: Choreografien, in denen der öffentliche Raum durchstreift wird, und dabei werden Berührungen vermieden. Auf dem Boden im Supermarkt sind Abstandsmarkierungen aufgeklebt, und die erinnern nicht von ungefähr an die Klebestreifen auf dem Boden der Theaterbühne, die den Performer*innen anzeigen, wann sie wo zu stehen haben. Und auf der Liegewiese im Park scheinen unsichtbare Kreise um die Sonnenhungrigen gezogen, eineinhalb Meter, die nicht unsanktioniert durchbrochen werden sollen. (...)
Aus: Jahrbuch Tanz, 2020
Sie tritt, sie trotzt, sie wütet
Kampflos gibt der Körper nicht auf: Sylvana Seddigs Videotanz in Zeiten der Tröpfcheninfektion.
(...) Die Pandemie existiert doch nur, weil unser Körper sich mit seiner Sterblichkeit zu Wort meldet“, sagt Seddig: „Unser Körper ist immer noch im Hier und Jetzt verhaftet, und wenn er nicht integrierter Bestandteil unseres Seins ist – was passiert dann?“ Der Körper meldet sich, und die Choreografie der Körpervermeidung im Stadtpark ist im Grunde nichts als das Ignorieren dieser Wortmeldung. Seddig dagegen prügelt mit ihren Videoperformances die Körperlichkeit zurück in die Wahrnehmung. (...)