Falk Schreiber, Kulturjournalismus


Journalismus


Bezüglich meiner Ausbildung (siehe auch Biografie) und meiner Berufspraxis bin ich ein klassischer Printjournalist. Fernsehen mache ich gar keines, Radio praktisch nie, Internet taucht meist mit Formen auf, die auch im Zeitungs- und Zeitschriftenjournalismus gepflegt werden: Interview, Porträt, Feature, Glosse, Kritik. Das ist keine Medienarroganz, sondern der Tatsache geschuldet, dass meine Themen in der Regel im Print verhandelt werden, in den Feuilletons von Tageszeitungen und in Magazinen (sowie teilweise in Netzangeboten wie Nachtkritik oder dem Figurentheater-Portal Fidena). Das heißt allerdings nicht, dass ich nicht offen für neue Formen wäre, wer weiß, vielleicht ergibt sich ja mal ein Podcast, eine Instastory oder was ganz Neues über Kultur. Gerne mal.


Anbei finden Sie eine (immer wieder umgestellte) Auswahl von Artikeln, die mein Arbeitsspektrum umreißen. Sollten Sie Interesse an weiteren Arbeitsproben haben, melden Sie sich gerne unter falk (at) falkschreiber (dot) com.


Zumutung

Tanzbrocken, wuchtig und unbehauen: Boris Charmatz entführt das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch mit «Liberté Cathédrale» in den Nevigeser Mariendom

(...) Man sitzt im (bis auf den minimalistischen Altar) leeren Kirchenraum, um einen herum prangt nackter Beton, nur der Boden ist gepflastert. Man friert ein wenig, die Sitzreihen sind denkbar unbequem, ein leicht modulierter, hoher Ton zerrt in den Ohren. Und langsam betreten die Tänzer*innen die Kirche, stürzend, fallend, sich wieder aufrappelnd, schneller werdend. Auf den ersten Blick ist das eine chaotische Bewegung, vor allem: eine, die von Gesang begleitet ist. Das Ensemble singt die Melodie von Beethovens «Klaviersonate Nr. 32, Opus 111», zumindest sofern die einzelnen Tänzer*innen bei Stimme sind, zumindest sofern sich eine Melodie während der Bewegung erkennen lässt, «Laa-laa-la-la-la», ein Leiern, ein An-, ein Abschwellen. Vor allem eine konsequent individualistische Performance. (...)

Aus: tanz, September 2023


Jetzt wird’s schmutzig

Benjamin von Stuckrad-Barres «Noch wach?» wirft einen Schlüssellochblick auf #MeToo-Verwerfungen in einem Medienkonzern. Christopher Rüping recherchiert im Hamburger Thalia Theater

(...) Anlass für Stuckrad-Barres Buch waren die Vorwürfe gegen den damaligen «Bild»-Chefredakteur Julian Reichelt, seine Position für sexuelles Entgegenkommen junger Mitarbeiterinnen ausgenutzt zu haben. Der Schlüsselroman zeichnet das recht genaue Bild einer machtbesoffenen Jungsclique um Reichelt, Verleger Mathias Döpfner und den Autor (der als Freund Döpfners zum engeren Zirkel Springers zählte und gleichzeitig außen vor blieb), angereichert mit postmoderner Billigironie: «Das ist so beyond scheiße und gleichzeitig so meta!» Davon ist in der Bühnenfassung wenig übrig, es geht nicht um Springer, es geht auch nicht um Sex, es geht fast ausschließlich um Macht. (...)

Aus: Theater heute, September 2023


Wir nennen es Forschung

Jubiläum in Hamburg: Seit 20 Jahren denkt man am Fundus Theater die Konventionen des Kindertheaters neu – auf Basis von Forschung und Objekttheater, allerdings ohne Paternalismus und ohne Trennung zwischen Kindern und Erwachsenen.

(...) Die Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen kann man auch als binäres System sehen, und da wird die Forschungsarbeit am Fundus Theater plötzlich zum politischen Akt, zur Hierarchiekritik. Immerhin: „Alles, was binär ist, muss gehackt werden!“, meint Dramaturg Christopher Weymann scherzhaft. Und dieses Hacking hat politische Folgen: „Wir nennen es Forschung, aber manchmal ist es auch eine ganz kleine Revolution“, beschreibt Lois Keidan von der Londoner Live Art Development Agency bei einer Zoom-Diskussion während der Jubiläumsfeierlichkeiten des Fundus Theaters den Ansatz. (...)

Aus: Fidena, 28.9.2023


Ein Neuerer, kein Bilderstürmer

Seit 50 Jahren prägt John Neumeier Hamburg als Ballettstadt.

(...) Wenn man sich die Liebe anschaut, mit der die Hansestadt Neumeier, ihren Ehrenbürger, heute überschüttet, kann man sich gar nicht vorstellen, dass der Start 1973 gar nicht so einfach war. Denn: Der neue Ballettchef kam mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der das Stuttgarter Ballettwunder unter Cranko miterlebt hatte, mit dem Selbstbewusstsein eines Mannes, der die Ballettprovinz Frankfurt aus dem Dornröschenschlaf erweckt hatte. Zudem stellte er schon in seiner Antrittsrede vor der Compagnie klar, dass er Lust auf die Konfrontation mit dem Opernbetrieb hatte: „Meine wichtigste Aufgabe ist es, zuerst genügend Arbeit für euch zu finden, denn: Ein Tänzer ist nur einer, wenn er tanzt, und ich glaube, der glücklichste Tänzer ist der müdeste.“ Das war keine künstlerische Vision, das war die Vision eines Chefs, der die Arbeitsbedingungen seiner Mitarbeiter verbessern möchte, und zwar um den Preis, dass um die Bühne des Opernhauses konkurriert werden würde. (...)

Aus: Hamburger Abendblatt, 22.9.2023


Prinzip Held

In Gelsenkirchen dekonstruieren Felix Landerer und Giusepe Spota die Abendteuer des „Odysseus“.

(...) Im Grunde ließe sich diese Choreografie als Dekonstruktion des Prinzips „Heldentum“ beschreiben, als Nachstellen von heldischen Posen, die dann von ihrer Konzentration auf eine einzelne Person abgelöst und auf eine Gruppe Tänzer*innen übertragen werden. Was sich durchaus auch zeitpolitisch lesen lässt: „In den letzten Jahren haben wir so oft erlebt, dass Menschen Situationen in Gang setzten oder sich darin wiederfanden, deren Ende sie nicht absehen konnten“, beschreibt Landerer den Bezug im Programmheft. „Denken wir nur an die Pandemie oder den Krieg in die Ukraine.» Dieses Stück mag hochästhetisch aussehen, inhaltlich ist das aber schärfer gedacht, als es der oberflächliche Blick nahelegt. (...)

Aus: tanz, März 2023


Heiliger Ernst

Choreograf John Neumeier läuft mit der Uraufführung von „Dona Nobis Pacem“ auf die Zielgerade seiner 51-jährigen Karriere beim Hamburg Ballett ein.

(...) Zu Beginn seiner Hamburger Zeit galt Neumeier nach ersten Erfolgen in Stuttgart und Frankfurt als Bilderstürmer, der das klassische Repertoire mit unerhörten Neuerungen konfrontierte. Später lief seine Arbeit immer wieder Gefahr, im Klassizismus zu erstarren. Zuletzt, nach einer quälend langen Nachfolger-Suche, standen auch noch Rassismus-Vorwürfe im Raum: Als die 1985er-Choreografie „Othello“ in Kopenhagen einstudiert werden sollte, hatten Tänzer*innen Probleme mit in ihren Augen klischeehaften Darstellungen, in der Folge wurde die jahrelange, erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Hamburger Choreografen und dem Kongelige Ballet auf Eis gelegt. Es ist also ein Bekenntnis, wenn Neumeier über „Dona Nobis Pacem“ sagt: „Ich bin überzeugt, dass auch mein Glaube, meine persönlichen Zweifel und meine Zerrissenheit untrennbar zu meiner Persönlichkeit gehören.“ Zerrissenheit, die Aleix Martinez in beeindruckender Bühnenpräsenz zeigt, ein Tänzer, der seinen Körper in atemberaubende Verrenkungen versetzen kann, und dennoch nicht mit wuchtiger Physis überzeugt, sondern sich Zerbrechlichkeit und Sensibilität bewahrt. (...)

Aus: Tagesspiegel, 5.12.2022


Horrortheater der großen Kasperle

Rammstein sind übergroß, überlaut, überbordend – und auf jeden Fall mit jeder Menge Feuer. Dass die Songs dabei kaum interessieren – geschenkt.

(...) In Paris gab es um die Jahrhundertwende das „Théâtre du Grand Guignol“, das „Theater des großen Kasperle“. Gezeigt wurden Horrorgeschichten, Morde, Vergewaltigungen, Gruselstücke, möglichst spektakulär inszeniert, möglichst schockierend. Wirklichen Einfluss auf die Bühnenkunst hatten die Grand-Guignol-Stücke nicht, dazu waren sie zu sehr auf den Effekt hin gebaut, zu grob und zu offensichtlich, auf lange Sicht waren sie zu ermündend. Aber beispielsweise das Splatterkino hat viel vom Grand Guignol gelernt. Ebenso wie die Rock-Ästhetik von Rammstein. Was sich freilich bei Rammstein ebenfalls beobachten lässt, ist ein ähnlicher Niedergang wie beim Grand Guignol. Je länger die 1994 aus den DDR-Punks Feeling B hervorgegangene Band aktiv ist, umso stärker langweilt die ewige Wiederholung der gleichen Schockformeln. (...)

Aus: Hamburger Abendblatt, 17.6.2022


Die virtuelle Realität verflüssigt sich

Das Virtual-Reality-Frestival VRHAM im Hamburger Oberhafen zwischen „Next big thing“ und „Schönste Stadt der Welt“-Bräsigkeit

(...) VRHAM! steht für „Virtual Reality Hamburg“ und repräsentiert so schon im Namen irgendwas zwischen „Next big thing“ und „Schönste Stadt der Welt“-Bräsigkeit, wenn auch als Airportkürzel und mit Ausrufezeichen. Vielleicht soll das ja so sein, in einem Umfeld, in dem Kanonisierung und geschmackliche Ausdifferenzierung noch nicht weit fortgeschritten sind. Und man muss neidlos zugeben: Bei den vorherigen VRHAM!-Ausgaben präsentierte Festivalchef Ulrich Schrauth zwar einigen Technikbegeisterungskitsch, aber er zeigte auch immer wieder sehenswerte Kunst, die sich voller Entdecker­­erotik in die Möglichkeiten der virtuellen Realität aufmachte. (...)

Aus: taz – die tageszeitung, 2.6.2022


Willige Boys backstage

Sex, Drugs & Budd'n'Brooks – Internationales Sommerfestival Hamburg – Nesterval und Queereeoké beschwören die Zeit, als laute Musik und schlechte Luft noch eine Verheißung waren

(...) Das Publikum steht am Rande des Dancefloors, und von Zeit zu Zeit werden einzelne Zuschauer:innen aufgefordert, mitzukommen, ins Backstage, in den Darkroom, ins Treppenhaus, von Imke Paulick hübsch zwischen Plüsch und Camp ausgestattet. Hier werden kurze Szenen gespielt, unspektakulär aber wirkungsvoll – Streit zwischen den Figuren, Verwerfungen, die Erkenntnis, dass die Konzentration auf Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen einen auch nicht weiterbringt. Und kurz darauf übertönt laute Musik die Szene, man trinkt noch einen Schnaps (und wenn Thomas nicht hinschaut, schafft man es, die Zeche zu prellen), dann geht es zurück in den Saal. (...)

Aus: Nachtkritik, 6.8.2021


Utopie Frauenbad

Die Hamburger Kunsthalle wirft mit »Max Beckmann. Weiblich-männlich« einen neuen Blick auf einen kanonisierten Künstler.

(...) Und hier macht sich Beckmann von allen Konventionen frei, Säuglinge sind ebenso erkennbar wie alternde Körper, Lachen und Missmut, Fleisch und Knochen. In diesem überbordenden Tableau, in dieser Feier von Bewegung, Spiel und Geschlechtersolidarität scheint dann tatsächlich eine Erkenntnis dieser so klugen wie traditionellen Ausstellung auf: dass nämlich Beckmann gelitten haben dürfte unter den starren Geschlechterkategorien, die er selbst mit Arbeiten wie »Bildnis Ludwig Berger« oder »Selbstbildnis im Smoking« immer wieder reproduzierte. Und dass das »Frauenbad« eine Utopie ist, ein Ausweg aus dem Gefängnis der Zweigeschlechtlichkeit. Queerness. (...)

Aus: nd, 30.9.2020


Ästhetik des Abstands

Kontaktvermeidungsimprovisation ist der prägende Trend – auch im Foyer.

(...) Es ist eine behutsame Choreografie, die hier entsteht, eine Choreografie, bei der die Performer*innen gezwungen sind, genau aufeinander zu achten, jede Bewegung des Gegenübers mitzudenken, zu erahnen, wo der Nachbar sich im nächsten Schritt hinbewegt, nicht nur, um Berührungen zu verhindern, sondern auch ein Unterschreiten des Mindestabstandes. Solche Choreografien werden aktuell überall eingeübt: Choreografien, in denen der öffentliche Raum durchstreift wird, und dabei werden Berührungen vermieden. Auf dem Boden im Supermarkt sind Abstandsmarkierungen aufgeklebt, und die erinnern nicht von ungefähr an die Klebestreifen auf dem Boden der Theaterbühne, die den Performer*innen anzeigen, wann sie wo zu stehen haben. Und auf der Liegewiese im Park scheinen unsichtbare Kreise um die Sonnenhungrigen gezogen, eineinhalb Meter, die nicht unsanktioniert durchbrochen werden sollen. (...)

Aus: Jahrbuch Tanz, 2020


Sie tritt, sie trotzt, sie wütet

Kampflos gibt der Körper nicht auf: Sylvana Seddigs Videotanz in Zeiten der Tröpfcheninfektion.

(...) Die Pandemie existiert doch nur, weil unser Körper sich mit seiner Sterblichkeit zu Wort meldet“, sagt Seddig: „Unser Körper ist immer noch im Hier und Jetzt verhaftet, und wenn er nicht integrierter Bestandteil unseres Seins ist – was passiert dann?“ Der Körper meldet sich, und die Choreografie der Körpervermeidung im Stadtpark ist im Grunde nichts als das Ignorieren dieser Wortmeldung. Seddig dagegen prügelt mit ihren Videoperformances die Körperlichkeit zurück in die Wahrnehmung. (...)

Aus: Tanz.Media, 7. 4. 2020